Mängelgewährleistung PKW-Kaufvertrag

2018-10-06 12:26 von Tino Ingwerth








LG Chemnitz, Urteil vom 05.10.2018, Az.: 3 S 222/16

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichtes Chemnitz vom 19.05.2016 - Az.: 23 C 2837/14 - wird zurückgewiesen.

II. Auf die Anschlussberufung des Klägers wird der Beklagte verurteilt, weitere € 176,12 nebst Zinsen in Höhe von 5%Punkten über dem Basiszinssatz seit 09.11.2015 zu zahlen.

III. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

VI. Beschluss: Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt bis EUR 2.000,00.

Gründe:

I.

Gemäß § 540 I Ziff. 1 ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen des Ausgangsurteils Bezug genommen. Diese sind im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Parteien zu ergänzen wie folgt:

Der Beklagte verfolgt das erstinstanzliche Vorbringen mit der Berufung fort. Er wiederholt und vertieft sein bisheriges Vorbringen, wonach das Auftreten des Pfeifgeräusches offensichtlich erst nach Übergabe des Fahrzeuges aufgetreten sei (u.U. aufgrund Fahrweise des Klägers), da es während der Probefahrt nicht wahrgenommen worden sei. Im Übrigen seien die Zeugenaussagen nicht glaubhaft, teilweise widersprüchlich und sei bei der Reparatur und nicht einmal positiv das Vorliegen eines Schadens festgestellt worden; diese Feststellung sei erst nach 10 Monaten des Gebrauches und 5.900 km Laufleistung erfolgt. Demgegenüber sei vor dem Verkauf eine technische Überprüfung ohne Befund vorgenommen worden. Schließlich fehle ein wirksames Nacherfüllungsverlangen mangels Angebots des Fahrzeuges zur Überprüfung.

Der Kläger verteidigt das ergangene Urteil und macht im Wege der Anschlussberufung weitere EUR 176,12 geltend (erstinstanzliche Klageerweiterung bezüglich der Sachverständigenkosten gem. Schriftsatz vom 11.03.2015). Im Übrigen verteidigt er die erstinstanzliche Beweiswürdigung, insbesondere aufgrund der Sachverständigenwertung.

Zu den weiteren Einzelheiten des jeweiligen Parteivorbringens sowie zu den gestellten Anträgen der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Hauptverhandlungsprotokolle vom 02.03.2017 und 13.09.2017 Bezug genommen. Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugen W., R. und durch Anhörung des Sachverständigen B., zu den Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschriften sowie das Protokoll des Amtsgerichts Hannover vom 18.04.2018 Bezug genommen.

II.

Die Berufung und die Anschlussberufung sind zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Erfolg hat lediglich die Anschlussberufung.

Aufgrund der durchgeführten zweitinstanzlichen Beweisaufnahme in Ergänzung zu den bereits erstinstanzlich einvernommenen Zeugen S. ist das Gericht der Überzeugung, dass der gerügte Mangel bei Übergabe des Fahrzeuges tatsächlich vorhanden gewesen ist. Dies beruht auf folgenden Erwägungen:

1. Zunächst hat der Sachverständige B. die objektiven Grundlagen der Entstehung eines Schadens am Differenzial geschildert. Es handelt sich hierbei um einen Schaden, der generell erst nach einer Laufleistung von etwa 200.000 km oder mehr zu erwarten sein wird; bemerkbar macht er sich zunächst durch Geräusche wie Pfeifen oder Heulen, welche sich mit späterer Schadensvertiefung - beispielsweise Materialausbrüchen an den Zahnrädern - verstärkt. Bei normaler Fahrweise dauert die Mangelentwicklung etwa 8.000 bis 10.0000 km, wobei sie sich auf 2.000 bis 3.000 km verkürzen kann; Spontanausfälle, etwa durch schlagartige Belastungen oder Ölverlust, sind auszuschließen. An diesen Ausführungen zu zweifeln hat die Kammer angesichts der bei der Anhörung des Sachverständigen gezeigten Kompetenz und Sachkunde keinen Anlass.

2. Anhand der Aussage des Zeugen W. steht fest, dass im August 2014, also etwa 7 Monate nach Gefahrübergang ein bereits massiver Schaden vorgelegen hat, der sich auch akustisch in einem lauten Jaulen, Mahlen und Summen geäußert hat, das nicht mehr überhört werden konnte. Spuren von Gewaltanwendung o.ä. waren am Differenzial nicht festzustellen, weiterhin hat der sachverständige Zeuge Metallpartikel im Öl gefunden (was anhand der Angaben des Sachverständigen B. auf eine massive Schädigung hinweist). Auch bezüglich des Zeugen W., der mit den Parteien weder verbunden ist noch sonst Anlass zur Falschaussage hat, besteht angesichts seines offensichtlich um korrekte und wahrheitsgemäße Auskunft bemühten Aussageverhaltens kein Anlass zu zweifeln.

3. Diese Angaben werden wiederum gestützt durch die Angaben des erstinstanzlich einvernommenen Zeugen S., der ein Pfeifen des Hinterachsdifferenzials bekundet hat und nach dessen Angaben davon auszugehen ist, dass mit dem Austausch des Differenzials die Schadensursache und die Schadenserscheinung Pfeifen - behoben war.

4. Dieser Schaden hat auch bei Gefahrübergang bereits vorgelegen. Dies ergibt sich wiederum aus der Aussage des Zeugen R., der auch in der Berufungsinstanz wiederholt bestätigt hat, dass bereits am Kauftage ein Pfeifgeräusch wahrnehmbar war. Zunächst sei er von dem Kläger aufmerksam geworden und habe dann - den Wagen fahrend - das Geräusch auch wahrgenommen.

a) Was die vom Amtsgericht zugrunde gelegte Glaubhaftigkeit dieses Zeugen anbelangt, gibt es keine Bedenken. Dieser mag dem Kläger freundschaftlich verbunden sein, seine Angaben werden jedoch objektiv gestützt. Schildert er zum Zeitpunk des Gefahrübergangs ein leises Pfeifen, ist des Weiteren bekannt, dass einige Monate später nebst einigen tausend Kilometern weiterer Laufleistung eine erheblich verstärkte Geräuschentwicklung vorgelegen hat, so entspricht dies eindeutig den objekiven Gegebenheiten. Wie der Sachverständige bekundet hat, ist eine fortschreitende Schadensentwicklung mit immer stärkerer Wahrnehmbarkeit des Geräusches zu erwarten. Am Anfang wird hier nur ein leises Pfeifen, zu verwechseln mit Windgeräuschen o.ä. wahrzunehmen sein. Die Kammer geht daher davon aus, dass weder der Kläger noch der Zeuge R. die behauptete Mangelerscheinung erfunden haben können. Eine so genau zu der zu erwartenden Schadensentwicklung passende „konstruierte" Aussage wäre in einem solchen Fall nicht zu erwarten.

Hierzu passt auch der zeitliche Ablauf bzw. die Fahrleistung durch den Kläger bis zur Reparatur oder der Feststellung durch den sachverständigen Zeugen W.: Eine Laufleistung von mehreren tausend Kilometern lässt nämlich gerade die Fortentwicklung des Schadens von dem genannten leisen Pfeifen bis zu der vom Zeugen W. festgestellten massiven Schädigung mit Metallspänen im Differenzial erwarten; dies stützt auch indiziell erheblich die klägerischen Angaben bzw. die Aussage des Zeugen R.

b) Auf dieser Basis ist davon auszugehen, dass die mit dem leisen Pfeifen hervorgetretene Mangelerscheinung bereits bei Gefahrübergang vorgelegen hat. Es kommt auch nicht auf den beklagtenseitigen Einwand an, das Pfeifen sei erstmals bei der Überführungsfahrt aufgetreten, da jedenfalls § 475 BGB eingreift: Die Mangelerscheinung ist innerhalb eines halben Jahres nach Gefahrübergang aufgetreten, es wäre daher beklagtenseits zu beweisen, dass sie zum Gefahrübergang noch nicht vorgelegen hat. Ein solcher Beweis ist nicht geführt.

5. Der Beklagte kann sich mit dem Amtsgericht auch nicht darauf berufen, er sei nicht ordnungsgemäß zur Mangelbeseitigung aufgefordert worden. Auf die diesbezüglichen Ausführungen des Amtsgerichts kann zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen werden.
Zwar ist die Mangelbeseitigung am Sitz des Verkäufers durchzuführen, das Amtsgericht hat jedoch zutreffend darauf verwiesen, dass der Beklagte auf das Nacherfüllungsverlangen des Klägers weder reagiert noch etwa eine Überprüfung des Pkw zugesagt hat. Er kann daher nicht geltend machen, das Fahrzeug sei nicht vorgeführt worden. Dies hätte zumindest vorausgesetzt, dass er auf die Beseitigungsaufforderung reagiert und eine Überprüfung zusagt. Unterlässt er dies, kann er sich nicht ohne Rechtsmissbrauch darauf berufen, der Kläger habe es unterlassen, auf eigene Kosten nach C. zu fahren, dort eine Verweigerung der Nachbesserung entgegenzunehmen und sich anschließend wieder nach Hause zu begeben.

6. Die klägerische Anschlussberufung ist erfolgreich. Der hier geltend gemachte Anspruch auf Erstattung der Kosten des sachverständigen Zeugen W. für die vorgerichtliche Begutachtung ist gegeben. Zu den erforderlichen Aufwendungen i.S. § 249 BGB gehören nämlich auch diejenigen, die für die Schadensfeststellung notwendig sind. Nicht Voraussetzung ist eine vorherige In-Verzug-Setzung des Beklagten, da es sich nicht um einen Verzögerungsschaden handelt.

7. Auch im Hinblick auf die (ohnehin vom Amts wegen zu überprüfende) amtsgerichtliche Kostenentscheidung hat der Kläger Erfolg. Es besteht vorliegend kein Anlass, gem. § 96 ZPO die Kosten der erstinstanzlichen Beweiserhebung durch Einholung eines Gutachtens dem Kläger aufzuerlegen.

a) Dies war nach der genannten Vorschrift (als Ausdruck des Sparsamkeitsgrundsatzes bzw. der Kostengerechtigkeit) im Rahmen einer vom Gericht zu treffenden Ermessensentscheidung dann vorzunehmen, wenn beispielsweise ein Verteidigungs- oder Angriffsmittel ohne Erfolg bleibt, weil es die Sachentscheidung des Gerichtes nicht i.S.d. Partei zu beeinflussen vermochte; Verschulden ist zwar nicht erforderlich, die Verursachung durch die Partei ist auch im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen.

b) Das Amtsgericht hat eine getrennte Kostenentscheidung deshalb getroffen, weil die Falschangabe erfolgt sei, das streitgegenständliche Differenzial stehe für die Begutachtung noch zur Verfügung. Dies ist zweifelhaft. Zum einen hat der Kläger seine Ausführungen in der Tat eingeschränkt mit „seines Wissens", zum anderen war für ihn nicht vorauszusehen, dass der Sachverständige Kosten verursachen würde, auch ohne Vorhandensein des Differenzials. Schließlich ist aber auch die Hinzuziehung des Sachverständigen in der Gesamtschau beider Instanzen nicht i.S.d. Klägers erfolglos gewesen, sondern sind die Feststellungen des Sachverständigen schlussendlich für die zweitinstanzliche Entscheidung herangezogen worden. Es fehlt also bereits die Voraussetzung für die Anwendbarkeit § 96 ZPO.

III.

Im Übrigen gilt für die Kostenentscheidung § 97 ZPO, für die vorläufige Vollstreckbarkeit § 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision war in Ermangelung von Gründen gem. § 543 II ZPO nicht zuzulassen.

Vorinstanz: AG Chemnitz, Az.: 23 C 2837/14 siehe hier




Zurück